Mit dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Regelungsvorhaben will das das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eine Musterfeststellungsklage in die Zivilprozessordnung einführen. Ziel ist es, die Durchsetzung von Verbraucherrechten zu verbessern, außergerichtliche Streitbeilegung zu fördern und ungerechtfertigte Vorteile unter Wettbewerbern zu verhindern.
Der Nationale Normenkontrollrat hat den Entwurf des oben genannten Regelungsvorhabens geprüft.
I. Zusammenfassung
Bürgerinnen und Bürger | |
| Jährliche Entlastung | -2,3 Mio. Euro
|
Wirtschaft |
| Jährliche Entlastung im Saldo | -1,4 Mio. Euro
|
Verwaltung | |
| Jährlicher Erfüllungsaufwand Einmaliger Erfüllungsaufwand
| 3,1 Mio. Euro 4,1 Mio. Euro
|
Evaluierung | Das Gesetz soll frühestens 5 Jahre nach dem Inkrafttreten evaluiert werden, weil erst zu diesem Zeitpunkt mit belastbarem Datenmaterial zu rechnen ist. |
Regelungsziele | Regelungsziele sind die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung für Verbraucher und die Entlastung der Gerichte. |
Kriterien/ Indikatoren | Indikatoren der Zielerreichung sind der Rückgang individueller Verbraucherklagen und das Aufkommen von Musterfeststellungsklagen. |
Daten- grundlage | Die erforderliche Datengrundlage entsteht vollzugsbegleitend in den beim Bundesamt für Justiz vorgehaltenen Rechtspflegestatistiken. Die Evaluierung wird die Frage nach unbeabsichtigten Nebenwirkungen sowie nach der Akzeptanz und Praktikabilität der Regelungen einschließen. |
Der Nationale Normenkontrollrat erhebt im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags keine Einwände gegen die Darstellung der Gesetzesfolgen in dem vorliegenden Regelungsentwurf.
|
II. Im Einzelnen
Mit dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Regelungsvorhaben will das das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) eine Musterfeststellungsklage in die Zivilprozessordnung einführen. Ziel ist es, die Durchsetzung von Verbraucherrechten zu verbessern, außergerichtliche Streitbeilegung zu fördern und ungerechtfertigte Vorteile unter Wettbewerbern zu verhindern.
Hierzu soll es eingetragenen Verbraucherschutzverbänden ermöglicht werden, zugunsten von mindestens zehn betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern das Bestehen bzw. Nichtbestehen von Schadensersatz oder Erstattungsansprüchen gerichtlich feststellen zu lassen. Das Ergebnis eines Musterverfahrens ist für nachfolgende Individualklagen verbindlich, weshalb das Ressort davon ausgeht, dass die neue Verfahrensart außergerichtliche Streitbeilegung fördern und die Gerichte entlasten wird. Um dabei zu verhindern, dass Individualansprüche während der Dauer des Musterverfahrens verjähren, können sich Verbraucherinnen und Verbraucher ab dem 1. November 2018 in ein Klageregister eintragen lassen.
Das Klageregister soll beim Bundesamt für Justiz geführt werden, muss dort allerdings erst eingerichtet werden. Die Registerführung soll zunächst manuell und nach Aufbau eines IT-Systems elektronisch erfolgen. Für die Einrichtung des IT-Systems setzt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) 26 Monate an.
II.1 Erfüllungsaufwand
Bürgerinnen und Bürger
Das Ressort geht davon aus, dass die neue Musterklage jährlich rund 11.200 Individualklagen entbehrlich macht. Beide Seiten werden dadurch um jeweils 2,3 Mio. Euro entlastet. Die Entlastung errechnet sich wie folgt:
Bei einem durchschnittlichen Streitwert von 600 Euro/Fall wird die eine Hälfte der Verbraucherklagen durch Rechtsanwälte, die andere Hälfte durch die Parteien selbst geführt. Hieraus ergibt sich ein je unterschiedliches Prozess- und Kostenrisiko:
| Fallzahl | Kostenrisiko/Fall | Gesamtaufwand |
Anwaltsprozess | 5.600 | 680 Euro | 3,8 Mio. Euro |
Parteiprozess | 5.600 | 160 Euro | 0,9 Mio. Euro |
Insgesamt | | | 4,7 Mio. Euro |
Unter der Annahme, dass die bisherigen Individualklagen in jeweils der Hälfte der Fälle erfolgreich waren und ansonsten scheiterten, verteilt sich das Prozess- und Kostenrisiko ebenfalls je zur Hälfte auf die Bürgerinnen/Bürger und die Unternehmen. Jede Seite war damit bisher mit rund 2,3 Mio. Euro belastet, die künftig entfallen.
Wirtschaft
Auf Seiten der Unternehmen steht der Entlastung von rund 2,3 Mio. Euro allerdings eine Belastung von rund 900.000 Euro gegenüber, die sich aus Folgendem ergibt:
Künftig werden in jedem Jahr rund 450 Musterfeststellungsklagen erhoben. Anders als bei den bisherigen Individualklagen wird es dabei regelmäßig um Streitwerte gehen, für die das Landgericht zuständig ist (> 5.000 Euro). Vor dem Landgericht herrscht Anwaltszwang. Bei einem durchschnittlichen Streitwert von 10.000 Euro, den das BMJV nachvollziehbar annimmt, ergibt sich damit ein Prozess- und Kostenrisiko von rund 4.000 Euro/Fall.
Unter der Annahme, dass die Unternehmen in der Hälfte der Musterfeststellungsverfahren unterliegen und deshalb die Kosten zu tragen haben, beläuft sich ihre Belastung durch das Regelungsvorhaben auf rund (225 x 4.000 =) 900.000 Euro. Per Saldo wird die Wirtschaft also nur um rund (2,3 – 0,9 =) 1,4 Mio. Euro entlastet.
Verwaltung
Beim Bundesamt für Justiz (BfJ) entsteht einmaliger Erfüllungsaufwand von rund 4,1 Mio. Euro für die Einrichtung sowie laufender Aufwand von rund 3,1 Mio. Euro für die zunächst manuelle und ab 2021 elektronische Führung des neuen Klageregisters:
| Registereinrichtung einmaliger Erfüllungsaufwand in €
| Registerführung jährlicher Erfüllungsaufwand in €
|
| | bis 2020
| bis 2021
|
Personalaufwand | 1.523.000
| 1.646.000
| 1.302.000
|
Sachaufwand | 2.600.000
| 28.000
| 110.000
|
Jährlicher Erfüllungsaufwand Insgesamt | 4.123.000
| 1.674.000
| 1.412.000
|
II.2 Weitere Kosten
Das BMJV geht nachvollziehbar davon aus, dass das Regelungsvorhaben die Kosten richterlicher Spruchtätigkeit insgesamt verringern wird. Denn den geschätzt 450 Musterfeststellungsklagen bei den Landgerichten stehen die geschätzt 11.500 Individualklagen gegenüber, die bei den Amtsgerichten entfallen.
II.3 ‘One in one out’-Regel
Im Sinne der ‚One in one out‘-Regel der Bundesregierung stellt der jährliche Erfüllungsaufwand der Wirtschaft in diesem Regelungsvorhaben ein „Out“ von im Saldo rund 1,4 Mio. Euro dar.
II.4 Evaluierung
Das Gesetz soll frühestens 5 Jahre nach dem Inkrafttreten evaluiert werden, weil erst zu diesem Zeitpunkt mit belastbarem Datenmaterial zu rechnen ist. Dabei wird die Bundesregierung auf Grundlage der beim Bundesamt für Justiz vorgehaltenen Rechtspflegestatistiken (Daten/Indikatoren) in fachlich geeigneter Weise prüfen, ob und inwieweit die beabsichtigten Wirkungen (Verbesserung der Rechtsdurchsetzung für Verbraucher, Entlastung der Gerichte - Regelungsziele) erreicht worden sind. Die Evaluierung wird die Frage nach unbeabsichtigten Nebenwirkungen sowie nach der Akzeptanz und Praktikabilität der Regelungen einschließen.
III. Ergebnis
Der Nationale Normenkontrollrat erhebt im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags keine Einwände gegen die Darstellung der Gesetzesfolgen in dem vorliegenden Regelungsentwurf.
> zurück zur Übersicht "Ausgewählte Stellungnahmen des NKR"
25. Mai 2018